… das Gebrüll in unserer Landschaft

Dreitausend Werbebotschaften prasseln täglich auf uns nieder. Außenwerbung trifft jeden verkünden beispielsweise farbenfroh die Videodisplays im Bahnhof Bielefeld. Die Werbewirtschaft in eigener Sache. Ja, sie triff jeden, was im Umkehrschluss bedeutet, dass ihr keiner entkommt. Natürlich nimmt man nur einen kleinen Teil davon bewusst zur Kenntnis. Alle zwanzig Sekunden eine solche Botschaft (wenn man davon ausgeht, dass man etwa 16 Stunden am Tag wach ist) würde uns -bewusst wahrgenommen- vermutlich in den Wahnsinn treiben. Es ist aber nicht abwegig anzunehmen, dass sie ganz subtil, im Unterbewusstsein, ihre Spuren hinterlassen. Jedenfalls würde es mich nicht wundern, wenn sich dieses Flächenbombardement negativ auf unsere Fähigkeit zu kommunizieren auswirkt.
Das Gebrüll in der Landschaft wurde die Außenwerbung schon 1966 in einem kleinen Heftchen des Sternbergkreis e.V. genannt. Ein Gruppe die sich nach der Burg Sternberg im Kreis Lippe benannt hatte. Gegen diese optische Verschmutzung wollte der Verein mit seinem Heftchen Nr.8 angehen.
1966 lebte ich noch nicht, aber wenn ich mich recht erinnere, war zumindest in den späten siebziger Jahren nicht im Ansatz an eine Werbeflut zu denken, wie wir sie mittlerweile ertragen müssen.
Das waren meine ersten Gedanken, als ich am Donnerstag das Zeitzeichen auf WDR5 hörte. Thema war der Geburtstag des amerikanischen Kaufmanns John Wanamaker im Jahr 1838, der als Pionier der Werbung gilt. Sehr spannend wurde diese Sendung dort, wo sie sich mit den neuesten Formen der Reklame auseinandersetze. Die Formen, die so sehr abweichen von Wanamakers Anspruch an „Ehrlichkeit in Wort und Bild“.
Das Problem mit dem Kapitalismus sei, dass er bereits am Ende seiner Kräfte angelangt wäre, wenn er nur die wirklichen Bedürfnisse befriedigen würde. Denn „Werbung wird für das gemacht, was wir genuin überhaupt nicht brauchen“. So äußert sich der Medien- und Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz. Die Werbung bringt uns diese „Bedürfnisse“ bei. Mehr noch, durch „Neuromarketing“ versucht uns die Werbewirtschaft dort zu packen, wo wir kaum Abwehrkräfte haben: An unseren Gefühlen. Ganz unverhohlen verkündet die Werbefirma Jung von Matt beispielsweise, dass die Werbung wie ein Trojanisches Pferd zu verstehen ist, dem es im Kern immer nur um Eroberung geht. Sie sind der Auffassung, dass der Verbraucher nie so fühlt wie er soll, sondern so wie er will. Und damit er so fühlt wie er fühlen soll, müsse man ihn eben überlisten.
Seltsam mutet es da an, wenn Firmengründer Holger Jung behauptet, er müsse sich seit jeher mit dem Thema „Moral und Werbung“ auseinandersetzen, denn er werde häufig gefragt, wie er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, Leute dazu zu bringen Produkte zu kaufen, die sie nicht wollen, um Leuten zu imponieren, die sie nicht mögen.
Seine Antwort darauf ist von so schlichter Borniertheit und überheblichem Zynismus, dass mir die Spucke weg bleibt: „Ich muss sagen, der Mensch ist so.“
Zum einen dürfte dieses grenzdebile Statement es sehr erklärungsbedürftig machen, warum denn dann der Konsument zu überlisten sei, zum anderen lohnt es sich einmal diese Rechtfertigung auf irgend ein beliebiges anderes Verhalten zu übertragen, dass eine kritische Menge Mensch unter bestimmten Umständen zeigt. Sind Menschen dann auch so? Und ist es dann erlaubt dieses Verhalten zu fördern und wirtschaftlich auszubeuten?
Was Menschen weitgehend gemeinsam ist, sind ihre tatsächlichen Bedürfnisse, wie sie von Maslow beschrieben wurden. Und tatsächlich lässt sich nachweisen, dass der Konsumlevel und das Glücksempfinden sehr wenig miteinander zu tun haben. Die Werbung versteht es aber mit psychologisch ausgefeilten Techniken unser Verlangen nach sozialem Kontakt erfolgreich an die Welt der Waren zu binden. Gleichzeitig verdrängen Besitzstreben und Konsum aber die soziale Interaktion.
Da ist es gut zu sehen, dass diese Mentalität nicht widerspruchslos hingenommen wird. So gibt es beispielsweise das Amt für Werbefreiheit, das -wie auch der Sternbergkreis 1966- gegen die Außenwerbung vorgeht. Die Frage, die Jan Korte aufwirft, ist schlicht bestechend: „Wie soll man jemals eine nachhaltige Gesellschaft aufbauen, wenn einen ständig diese Botschaften treffen.“ Die Botschaft nämlich, man sei nicht genug, wenn man nicht genug habe. Und dass, wo die Betonung des Habens das Sein ganz empfindlich einschränkt

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